Einführung
Für den Freistaat Sachsen wird derzeit am Landeshochwasserzentrum ein System zur Hochwasserfrühwarnung konzipiert, umgesetzt und operationalisiert. Dabei geht es darum, vor allem eine qualitative Einschätzung über die Hochwassergefährdung, beispielsweise in den nächsten 24 Stunden, abzuleiten. Das Ziel ist weniger, den möglichst exakten Verlauf einer Ganglinie vorherzusagen.
Es fanden bereits Voruntersuchungen zu den Ansprüchen potentieller Nutzer von Frühwarn-Produkten sowie zur Qualität und Eignung verschiedener meteorologischer Antriebsdaten (Niederschlagsvorhersagen) für die Hochwasserfrühwarnung statt.
Eine wichtige Anforderung an eine Frühwarnung ist dabei, dass diese auch und vor allem für kleine, potentiell unbeobachtete Einzugsgebiete einen prädiktiven Nutzen bietet. Es stellt sich die Frage, welcher Modellansatz für die Ableitung von Frühwarn-Informationen geeignet ist. Nun wurde von der Professur für Hydrologie der TU Dresden eine umfassende Analyse vorgelegt, welche diese Frage zu beantwortet.
Untersuchungsgebiete
Untersucht wurden 64 Pegeleinzugsgebiete in Sachsen, maßgeblich in einem Skalenbereich von wenigen bis einigen hundert Quadratkilometern Einzugsgebietsfläche. Das kleinste untersuchte Einzugsgebiet hatte dabei eine Fläche von gerade einmal ca. 6,5 km², das größte ca. 1.000 km².

Verwendete Modellansätze
Es wurden drei verschiedene Ansätze konzipiert, implementiert, angewendet und hinsichtlich ihrer Eignung zur Hochwasserfrühwarnung bewertet. Details zu den Ansätzen finden sich hier.
- Modell auf Basis eines künstlichen neuronalen Netzes (KNN)
- „Klassisches“ konzeptionell-deterministisches, teilflächenbasiertes Einzugsgebietsmodell
- Klassifizierendes Bewertungsverfahren der Hochwasseranfälligkeit („Scoring-Modell“)
Beurteilungskriterien
Bewertet wurden im Wesentlichen zwei Kriterien; Erstens, ob das Modell taugt, qualitative Frühwarnungen abzuleiten („Überschreitung einer Warnstufe in den nächsten 24 Stunden“) >> „Modus Frühwarnung“. Zweitens, ob das Modell in der Lage ist, beobachtete Ganglinienverläufe möglichst gut zu simulieren >> „Modus (Ganglinien-)Vorhersage“.
Zur Beurteilung des ersten Kriteriums eignet sich die AUC (Area Under ROC Curve). Dieses Maß ist am ungünstigsten bei Werten von 0,5 und optimal bei 1. Bei werten ab 0,8 kann man von mindestens einer guten Vorhersagegüte sprechen. Die AUC bewertet, ob ein vorhergesagter Wert innerhalb eines bestimmten Zeitfensters ober- oder unterhalb eines warnrelevanten Wertes (z.B. Alarmstufe) liegt.
Die Kling-Gupta-Effizienz (KGE) misst die Abweichungen zwischen beobachteter und simulierter Ganglinie. Sie ist optimal bei einem Wert von 1.
Modellgüte mit Blick auf Frühwarnung sowie Ganglinienvorhersage
Modus Frühwarnung
Hier geht es wie gesagt darum, zu beurteilen, ob ein vorhergesagter Wert innerhalb eines bestimmten Zeitfensters ober- oder unterhalb eines bestimmten beobachteten Wertes liegt.
Die folgende Abbildung zeigt exemplarisch Ergebnisse für die AUC. Konkret dargestellt sind die pegelspezifischen Ergebnisse der AUC-basierten Gütebewertung für eine Vorhersageweite von 21 Stunden sowie einen Modellantrieb mit interpolierten Ombrometerdaten als QPE sowie COSMO-DE-Daten als quantitative Niederschlagsvorhersage (QPF).

Es zeigt sich, dass für den Anwendungsfall „Frühwarnung“ das KNN-Modell am besten abschneidet, dicht gefolgt vom einfachen Scoring-Modell. Der deterministische Ansatz zeigt den geringsten prädiktiven Nutzen, obgleich die erzielten Güten meist immer noch mindestens als „gut“ zu bezeichnen sind; auch dieser Modellansatz bietet also für den Anwendungsfall einen prädiktiven Nutzen.
Modus (Ganglinien-)Vorhersage
Bewertet man hingegen die Abweichungen zwischen beobachteter und simulierter Ganglinie (Anwendungsfall „Ganglinienvorhersage“), so weist das KNN-Modell nach wie vor die höchsten Güten aus. Die Güte und Spezifität der verbleibenden beiden Ansätze fällt im Vergleich dazu ab, wobei das Scoring-Modell auf Grund seiner Besonderheiten (nur klassifizierte Aussagen) kaum in der Lage ist, beobachtete stetige Ganglinienverläufe wiederzugeben.

Zur räumlichen Übertragbarkeit der Ansätze
Besonders wenn es um die Frühwarnung vor Hochwasser in kleinen Einzugsgebieten geht, stellt sich die Frage nach der räumlichen Übertragbarkeit von Modellansätzen. Gerade kleine Gebiete sind oftmals unbepegelt, was streng genommen die Einbeziehung bereits beobachteter Durchflussanstiege für eine Frühwarnung nicht zulässt. Um die Möglichkeiten der räumlichen Übertragbarkeit der untersuchten Ansätze bewerten zu können, wurde ein regionales Jackknifing durchgeführt.
Die folgende Abbildung zeigt Güte-Ergebnisse (anhand der AUC – Anwendungsfall „Frühwarnung“) für beobachtete Gebiete („Original“) sowie quasi-unbeobachtete (im Sinne de Jackknifing zwar beobachtete, jedoch als unbeobachtet angesehene) Gebiete („Regionalisiert“).

Es zeigt sich, dass das Scoring-Modell am robustesten auf eine regionale Übertragung reagiert, was nicht weiterhin verwunderlich ist, da dort keinerlei beobachtete Durchflüsse eingehen.
Fazit
Es hat sich gezeigt, dass für den Anwendungsfall „Frühwarnung“ ein sehr simpler Scoring-Ansatz vergleichsweise hohen prädiktiven Nutzen bietet und gleichzeitig robust regionalisierbar ist. Eingedenk der sehr einfachen implementierungsseitigen und operationellen Ansprüche dieses Ansatzes, ist er nach dem aktuellen Kenntnisstand zur Ableitung von qualitativen Frühwarnprodukten zunächst zu bevorzugen.
Anders sieht es aus, wenn die möglichst exakte Simulation des Ganglinienverlaufs notwendig ist (Anwendungsfall „Ganglinienvorhersage“). Hier sind datengetriebene Verfahren (KNN) oder „klassische“ hydrologische Modellierung durchaus überlegen.
Referenzen
Abbildungen sind entnommen aus bzw. verändert nach:
Metzkes, C. et al.
A comparative study of data-driven approaches for flood early warning in small catchments
Contribution for the European Geosciences Union General Assembly 2017 Vienna, Austria, 23–28 April 2017.